[FSFE PR][DE] Laufen selbst ärmste Regionen in Europa deutschen Medienhochburgen den Rang ab?

Free Software Foundation Europe (FSFE) press at germany.fsfeurope.org
Die Aug 24 12:18:49 CEST 2004


Katja Husen will es wissen: "Welche Unterrichtskonzepte bestehen für die
an Schulen bereitgestellten Computer?", "Welche Behörde ist federführend
für die Entwicklung und Einführung von Maßnahmen zur Stärkung der
IKT-Kompetenz der Hamburgerinnen und Hamburger zuständig?" und "Welche
Strategie verfolgt der Senat im Bezug auf eine mögliche Kompetenz- und
Clusterbildung für die Zukunftstechnologie Freie Software im
Medienstandort Hamburg?", so lauten drei von elf Fragen der Hamburger
GAL-Bürgerschaftsabgeordneten an den Senat.

Den Anlaß für Husens Interesse bietet das Projekt gnuLinEx der
spanischen Region Extremadura: Hier teilen sich zwei Schüler im
Durchschnitt einen Computer, Lehrer und Schüler tauschen Wissen
multimedial online aus, über die Hälfte der Bevölkerung ist im Umgang
mit neuen Medien gebildet, das Land ist komplett per 2 Megabit
Datenleitung breitbandverkabelt. Über ein Intranet sind 1400 Schulen,
Arbeits- und Gesundheitsämter, Krankenhäuser und andere öffentliche
Einrichtungen miteinander verbunden. Damit sieht sich die Region heute
als die führende in Europa. 

Nun könnte man meinen, in der Extremadura flössen Milch und Honig - Das
Gegenteil ist der Fall: 1997 erwirtschaftete die Extremadura das
niedrigste Bruttoinlandsprodukt Spaniens pro Einwohner. Ein Jahr später
hat das Regionalparlament den Beschluß gefasst, den Anschluss an die
Informationsgesellschaft zu schaffen. Spuren hat gnuLinEx bereits
überall hinterlassen: In den Schulen, der öffentlichen Verwaltung und
der regionalen Wirtschaft - 50 startups werden derzeit unterstützt. 

Inzwischen entwickelt sich das Konzept der Extremadura zum
Exportschlager: Nicht nur, daß das Modell in ganz Spanien kopiert wird,
Kooperationen wurden mit  verschiedenen Ländern in Lateinamerika oder
Indien vereinbart. 

"Software ist Wissen - und jeder sollte daran teilhaben" - so das Motto
des Projekts. Daher vertraut die gesamte Provinz auf Freie Software, die
nicht nur angewandt, sondern auch kopiert, verändert und verteilt werden
darf: "gnuLinEx" ist ein Softwarepaket, das speziell auf die Anwender
der Region zugeschnitten ist und besteht aus Betriebssystem,
Internetbrowser, Multimedia Player, Office Anwendungen und Squeak -
einer Anwendung, um eigene Multimediainhalte zu gestalten. Mit
diesem Paket wurden über 200.000 CD beschrieben, weitere 200.000
Downloads wurden auf der Website registriert. Die finanziellen Aspekte
sind gewaltig: Mit jedem der 66.000 Computer, die von der
Regionalregierung eingerichtet wurden, spart der Staat 1000 Euro. Die
eigentliche Bedeutung aber ist weit größer, denn gnuLinEx soll helfen,
die digitale Spaltung der Gesellschaft zu überwinden.

Die Realität im Lande der Teutonen: "Die Relation Schüler/Schülerinnen
pro Computer hat sich deutlich verbessert: Mit 14 Schülerinnen/Schülern
pro Computer in den Sekundarschulen I und II und 11 in den
berufsbildenden Schulen haben diese Schulformen das von der Europäischen
Kommission im Rahmen des Aktionsplanes eLearning gesetzte Ziel von 15
Schülern/innen erreicht ..." oder "Nach wie vor nutzen die allgemein
bildenden Schulen Lernsoftware mit Abstand am häufigsten .... Programme
mit Werkzeugcharakter und Programmiersprachen spielen in den allgemein
bildenden Schulen nur eine geringe Rolle", so heißt es in einer Studie
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. 

"Deutschland läuft offenbar Gefahr, daß ihm selbst unterentwickelte
Regionen in Europa den Rang in einem wichtigen Bildungsbereich ablaufen.
Das ist gefährlich, weil wir damit einen unserer wichtigsten
Wettbewerbsvorteile zu verlieren drohen", kommentiert der Leiter der
Deutschen Sektion der Free Software Foundation Europe (FSFE) Bernhard
Reiter die Entwicklung. "Medienkompetenz ist neben Rechnen, Lesen und
Schreiben die Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts. Zu dieser zusätzlichen
Kulturtechnik gehört nicht nur die Fähigkeit, einzelne Knöpfe nach
vorgefertigten Konzepten bedienen zu können, sondern vor allem auch die
Zusammenhänge zwischen Hard- und Software zu begreifen, die Art und
Weise in der Betriebssystem und Anwendungen miteinander funktionieren,
zu verstehen und auch selbst Programme entwickeln zu können. Die
Möglichkeit diese Zusammenhänge zu erlernen, bietet nur Freie Software.
Der internationale Bildungswettbewerb verlangt schleunigst nach
grundlegenden Konzepten, um diesen Herausforderungen zu begegnen."


Über die Free Software Foundation Europe

   Die Free Software Foundation Europe (FSFE) ist eine gemeinnützige
   regierungsunabhängige Organisation, die sich allen Aspekten der
   Freien Software in Europa widmet. Zugang zu Software
   entscheidet, wer wie an der digitalen Gesellschaft teilnehmen
   kann. Daher erlauben die Freiheiten, Software zu verwenden, zu
   kopieren, zu ändern und weiterzuverteilen, wie sie in der
   Definition der Freien Software beschrieben werden, gleiche
   Chancen im Informationszeitalter.  Diese Problematik ins
   öffentliche Bewusstsein zu rücken und durch Unterstützung der
   Entwicklung Freier Software die Freiheit der Menschen zu
   gewährleisten, sind die Kernanliegen der FSFE, welche im Jahr
   2001 als Schwesterorganisation der amerikanischen FSF gegründet
   wurde.

   Weitere Informationen: http://www.germany.fsfeurope.org
-- 
Joachim Jakobs <jj at office.fsfeurope.org>
Press Speaker - FSF Europe (http://fsfeurope.org)
In der Roede 24, 64367 Mühltal (Tel: +49-179-6919565)