Reinhard Müller mueller@fsfeurope.org writes:
Am Sonntag, den 21.02.2010, 22:32 +0100 schrieb Matthias-Christian Ott:
"Community Open Source" und "Commercial Open Source"
Ich halte eine solche Unterscheidung für nicht sinnvoll. Zum Einen ist gerade bei Freier Software in sehr vielen Fällen eine sehr produktive Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und der Community zu finden, sodass sich gar kein Trennstrich ziehen lässt. Zum Anderen bestehen für den Anwender zwischen den beiden Varianten keine prinzipiellen Unterschiede, insbesondere nicht in der Freiheit.
So wie ich Stefan verstehe, geht es ihm vornehmlich um die Unterscheidung zwischen Produktion und Produkt. Die herkömmliche Definition freier Software bezieht sich nur aufs Produkt, nicht jedoch auf die Produktion. Es wird eben nicht unterschieden, ob die Software in freier Selbstentfaltung entwickelt wurde oder aber fremdbestimmt.
Grundsätzlich halte ich eine solche Unterscheidung für analytisch schon sehr interessant. Allerdings bezweifle ich, dass Software, die als Auftragsarbeit oder in Rahmen eines Arbeitsverhältnisses geschrieben wird, automatisch fremdbestimmt sein muss. Die Frage ist, ob es (in einem nicht trivialen Sinn[1]) nicht-entfremdete Lohnarbeit geben kann. Ich halte das für möglich, da die Produktion von freier Software doch *selbst im Rahmen eines Lohnarbeitsverhältnises* keine im klassischen Sinne werthaltige Produktion[2] ist.[3] Aber ich bewege mich da möglicherweise auf dünnem Eis, schließlich ist auch proprietäre Software im genannten Sinne nicht werthaltig.[4] Die schönsten Gedankenexperimente helfen hier aber wohl nicht weiter, und letztlich müssten zur Beantwortung dieser Frage wohl arbeitswissenschaftliche Untersuchungen her.
Beste Grüße, olli
Footnotes: [1] Jede menschliche Arbeit ist notwendig Entäußerung und Vergegenständlichung. Mein Produkt tritt mir als selbständig gegenüber, als etwas außer mir und unabhängig von mir existierendes. In diesem trivialen Sinn ist jede menschliche Arbeit Entfremdung. (Mehr zu entfremdeter Arbeit: http://de.wikipedia.org/wiki/Entfremdete_Arbeit)
[2] Im Gegensatz zum in den vorherrschenden Wirtschaftswissenschaften üblichen Verzicht auf die Erklärung von »Wert« zugunsten einer bloßen Preisbildungstheorie auf Basis einer Grenznutzenkalkulation geht es in der von Stefan und dem Oekonux-Projekt geführten Diskussion sehr wohl um die Frage der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und damit um Wert. Nach der klassischen Arbeitswertlehre (zunächst Smith und Ricardo, später auch Marx) wird der Wert einer Ware bestimmt durch die in einer gegebenen gesellschaftlichen Entwicklungsstufe darin notwendig enthaltenen Mittel. Im Falle von Software als Massenware geht dieser aber gegen Null, da sich der Aufwand auf eine tendenziell unendlich große Anzahl von Kopien verteilt. Die einzelne Kopie verursacht keine weiteren Kosten.
[3] Jetzt wirds sehr akademisch, diese Anmerkung setzt die eingehende Kenntnis der marxschen Mehrwerttheorie voraus: Strenggenommen ist der Satz so nicht richtig. Die Nichtwerthaltigkeit bezieht sich nur auf das Produkt, nicht jedoch auf die Produktion. Denkbar wäre etwa eine Firma A, die Firma B den Auftrag gibt, eine Software zu entwickeln. Firma B erstellt diese Software, und dabei wird ein werthaltiges Produkt hergestellt und auch Mehrwert produziert. Wenn Firma A diese Software -- ob frei oder unfrei ist dabei zunächst einmal egal -- dann als Massenware veröffentlicht, werden die einzelnen Kopien wertfrei. Wenn sie als freie Software veröffentlicht werden, wird zudem der Sourcecode wertfrei und es findet eine plötzliche Vernichtung von Tauschwert statt.
[4] Wobei allerdings auch hier die in [3] gegebene Unterscheidung gilt: der Sourcecode der proprietären Software ist sehr wohl werthaltig, und damit gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen der Produktion proprietärer und freier Software. Das führt mich zu der optimistischen Annahme, dass die Produktion freier Software auch im Hier und Jetzt so gestaltet werden kann, dass sie nichtemtfrendete Produktion ist, und zugleich für ein Auskommen des Produzenten sorgen kann.