= Verpasste Chancen: Wo die Große Koalition nachbessern muss =
[Online Lesen: http://fsfe.org/news/2013/news-20131211-01.de.html ]
Der finale Koalitionsvertrag, über den die SPD-Mitglieder bis zum 14.
Dezember abstimmen, beschreibt sich selbst als Weichenstellung hin zu
einer echten digitalen Gesellschaft. Die Free Software Foundation Europe
(FSFE) kann ebenfalls Fortschritte erkennen, aber keine Meilensteine,
die Deutschland zum Spitzenreiter der Digitalisierung von Gesellschaft
und Wirtschaft machen würde, wie es sich die Koalitionspartner zum Ziel
gesetzt haben.
Erfreulich ist, dass sich CDU/CSU und SPD auf eine klare Haltung
gegenüber dem Routerzwang geeinigt haben, dem sie eine deutliche Absage
erteilen [1] und damit der Empfehlung der FSFE folgen [2]. Ebenso
plädieren sie für Freie Lizenzen und Open Access im Bildungssystem [3]
und erwähnen in vielerlei Hinsicht IT-Sicherheit als Voraussetzung für
Vertrauen der Bürger in öffentliche Behörden und Projekte [4]. Dazu
passend erwähnt der Koalitionsvertrag auch den Willen zur Förderung von
offenen Plattformen und großflächiger Interoperabilität [5].
Trotz dieser guten Absichten vermisst die FSFE klare Zugeständnisse und
konsequente Schlussfolgerungen. Bei Anschaffungen und
Entwicklungsaufträgen von Software für öffentliche Einrichtungen
beispielsweise soll Freie Software nur erwogen, jedoch nicht priorisiert
werden [6], wie es angesichts der zum Ziel gesetzten Werte wie IT-
Sicherheit und Interoperabilität nötig wäre. In diesem Zusammenhang ist
fragwürdig, welche Gründe konkret gegen eine generelle Priorisierung
Freier Software sprechen. Eine ähnlich vorsichtige Formulierung fand
sich auch schon im Koalitionsvertrag der vorherigen Regierung [7], was
keine Stärkung Freier Software auf Bundesebene mit sich brachte. Auch
ambitionierten Projekten wie bundesweiten Warn- und Informationssystemen
für Bürger [8] und der Zentralisierung der Bundes-IT ohne
Herstellerabhängigkeit [9] fehlt die letzte Konsequenz, dass diese nur
mit Freier Software plattformunabhängig umgesetzt werden können. Welche
Gründe sprechen dagegen, dass öffentlich finanzierte Software
verpflichtend unter Freie Lizenzen gestellt werden muss?
Bei der Analyse des Koalitionsvertrags fällt auf, dass im Gegensatz zu
früheren Entwürfen Offene Standards nicht mehr wörtlich auftauchen,
sondern nur noch in Umschreibungen. Diese sind für viele gute Ideen wie
Open Access im Bildungssektor eine Grundvoraussetzung, um Inhalte
diskriminierungsfrei und interoperabel anbieten zu können. Hier erhofft
sich die FSFE von der Großen Koalition, den Worten konkrete Taten für
Freie Software folgen zu lassen.
Ebenso vermisst die FSFE trotz eines interfraktionellen Antrags [10]
klare Aussagen gegen Softwarepatente und trotz eines Eckpunktepapiers
[11] der Bundesregierung konkrete Maßnahmen gegen kritische Technologien
wie Secure Boot, die die Unabhängigkeit von Bürgern, Unternehmen und
Staaten gefährden.
Dabei könnte Deutschland schon heute von der Erfahrung seiner
unmittelbaren EU-Nachbarn lernen. Die Niederlande etwa stehen im E
-Government-Index der UN [12] europaweit an oberster Stelle, während
Deutschland im EU-Vergleich auf Platz 10 rangiert. Dort können etwa
Steuererklärungen auch nativ auf GNU/Linux-Systemen ausgefüllt werden,
wogegen sich deutsche Behörden immer noch stemmen [13]. In Frankreich
wurde ein Netzwerk aufgestellt, über welches detailliert erfasst wird,
wo welche Freie Software wie verwendet wird und welche Ergebnisse damit
erreicht werden [14]. Die Französische Gendarmerie hat mehrere
zehntausend Computer auf GNU/Linux-Systeme umgestellt und dadurch die
IT-Kosten um 40% gesenkt [15]. Schwedens Ausschreibungssystem ermöglicht
es auch kleineren regionalen Firmen, Bundesaufträge oder Teile davon
anzunehmen, was die lokale Wirtschaft stärkt und gleichzeitig die
Interoperabilität zwischen Gemeinden und Behörden verbessert [16].
Ähnliche positive Erfahrungen und Strategien sind auch in Großbritannien
und in Italien, wo Freie Software in Behörden priorisiert wird, zu
beobachten.
In Deutschland hingegen ließ sich in den letzten Jahren eher Stagnation
und Rückschritt verzeichnen. Die Umstellung auf Freie Software im
Auswärtigen Amt wurde gestoppt, andere Freie-Software-Projekte in ihrer
Umsetzung behindert und neue nicht gefördert.
Zwar zeigt der Koalitionsvertrag, dass CDU/CSU und SPD grundsätzlich
gewillt sind, Freier Software mehr Bedeutung zukommen zu lassen. Doch um
wieder den Anschluss an die europäische Spitze zu finden, ist es nötig,
dass die Regierung in den nächsten vier Jahren konsequent Freier
Software den Vorrang in Ausschreibungen und kritischen Infrastrukturen
gewährt. Nur durch die Förderung Freier Software ist es möglich,
Freiheit, Sicherheit und Wettbewerb in einer digitalen Gesellschaft zu
vereinen.
== Anmerkungen ==
1. "Wir wollen eine gesetzliche Klarstellung für den Netzzugang von
Telekommunikationsanbietern. Nutzerinnen und Nutzer müssen die freie
Auswahl an Routern behalten. Daher lehnen wir den Routerzwang ab. Die
zur Anmeldung der Router (TK- Endeinrichtungen) am Netz erforderlichen
Zugangsdaten sind den Kundinnen und Kunden *unaufgefordert
mitzuteilen*." (S. 49)
2. https://fsfe.org/news/2013/news-20131104-02.de.html
3. "Die digitale Lehrmittelfreiheit muss gemeinsam mit den Ländern
gestärkt werden. Grundlage hierfür ist ein bildungs- und
forschungsfreundliches Urheberrecht und eine umfassende Open-Access-
Politik. Schulbücher und Lehrmaterial auch an Hochschulen sollen, soweit
möglich, frei zugänglich sein, die Verwendung *freier Lizenzen und
Formate* ausgebaut werden." (S. 30)
4. "Voraussetzung für die Akzeptanz elektronischer Behördendienste sind
Datenschutz und Sicherheit der Kommunikation und Angebote. Die
Identifizierungsfunktion des neuen Personalausweises und die Nutzung von
Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen sind grundsätzlich anzuwenden." (S. 152)
"Die Weiterentwicklung und Verbreitung von Chipkartenlesegeräten,
Kryptographie, DE-Mail und sicheren Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen
sowie vertrauenswürdiger Hard- und Software gilt es erheblich
auszubauen." (S. 148)
5. "Unser Ziel ist, bei Schlüsseltechnologien und IT- Kernkompetenzen
(IT-Sicherheit, Netzwerktechnik, Embedded Systems, Prozess- und
Unternehmenssoftware, Kryptographie, Machine-to- Machine-Kommunikation
etc.) eigene Technologieplattformen und Produktionslinien in Deutschland
bzw. im europäischen Verbund zu halten. *Als Alternative zu den
geschlossenen digitalen Ökosystemen unterstützt und fördert der Bund im
Software-Bereich gerade auch die Entwicklung von offenen Plattformen und
Open-Source-Lösungen und setzt sich dafür auch auf europäischer Ebene
ein*. Wir wollen im globalen Wettbewerb „Software made in Germany“ als
Qualitätsversprechen bzgl. Sicherheit, Datenschutz, Design und
Nutzerfreundlichkeit stärken. Wir unterstützen Prozesse der
*Standardisierung, Interoperabilität* und Zertifizierung als wichtige
Parameter für den Markterfolg deutscher Produkte." (S. 20)
6. "Bei der Anschaffung von IT-Technologie durch die öffentliche Hand
müssen im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsprinzips Innovationspotenziale
und Nachhaltigkeit als *mitentscheidende Kriterien bedacht werden*. Bei
Ausschreibungen sollen Sicherheitsstandards vorgegeben und /wenn
möglich/ * Open-Source- Lösungen erwogen werden*." (S. 152)
7. "Die Informationstechnik des Bundes bedarf der Konzentration,
Standardisierung und Effizienzsteigerung sowie Bündelung vorhandener
Ressourcen. Wir werden hierzu den Beauftragten der Bundesregierung für
Informationstechnik stärken. Wir prüfen, wie die IT des Bundes sich
zukünftig an offenen Standards orientieren und dabei auch Open-
Source-Lösungen berücksichtigen kann." (Alter Koalitionsvertrag
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Ministerium/koalitionsvertra…
S. 102)
8. "Wir fördern die Entwicklung und den Einsatz von bundesweiten Warn-
und Informationssystemen, mit denen Bürgerinnen und Bürger per SMS,
E-Mail oder über eine App über Unfälle, Gefahren und Katastrophen
informiert werden können." (S. 144)
9. "Der Bund wird den Ländern vorschlagen, die Programme des
E-Governments unter Verantwortung des IT-Planungsrates zu konsolidieren
und zu koordinieren. Dabei sind Technologien /nach Möglichkeit/ *
langfristig* so zu planen, dass *keine Abhängigkeiten zu intransparenten
Protokollen, Software, Hardware oder Herstellern entstehen*." (S. 152)
10. https://fsfe.org/news/2013/news-20130612-01.de.html
11. https://fsfe.org/news/2012/news-20121120-01.de.html
12. https://www.un.org/en/development/desa/publications/connecting-governments-…
13. http://blogs.fsfe.org/mk/elstergate-elsterformular-fur-gnulinux-und-mac-os-…
14. https://joinup.ec.europa.eu/community/osor/news/ministries-france-detail-us…
15. https://joinup.ec.europa.eu/community/osor/news/french-gendarmerie-open-sou…
16. https://joinup.ec.europa.eu/news/se-framework-agreement-increases-use-open-…
= Über die Free Software Foundation Europe =
Die Free Software Foundation Europe (FSFE) ist eine gemeinnützige,
regierungsunabhängige Organisation, die in vielen Ländern Europas
aktiv und in vielen globalen Aktionen involviert ist. Der Zugang zu
Software entscheidet über die Teilhabe an der digitalen Gesellschaft.
Um Chancengleichheit im Informationszeitalter und die Freiheit des
Wettbewerbs sicherzustellen, widmet sich die Free Software Foundation
Europe (FSFE) der Förderung Freier Software, welche dadurch definiert
wird, dass sie von jedem Menschen uneingeschränkt benutzt, untersucht,
verändert und weitergegeben werden kann. Dies ins öffentliche
Bewusstsein zu rücken und der Freien Software politische und
rechtliche Sicherheit zu verschaffen, sind die wichtigsten Ziele der
FSFE, die 2001 gegründet wurde.
Weitere Informationen über die Arbeit der FSFE finden Sie auf
http://fsfe.org/