= Öffentlicher Code für nachhaltige internationale Entwicklungszusammenarbeit =
[ Online lesen: https://fsfe.org/news/2020/news-20201210-01.de.html ]
Internationale Entwicklungszusammenarbeit wird zunehmend digital. Freie
Software somit zu einer Grundlagentechnologie, um die UN-Ziele für
nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Zusammen mit Experten auf dem
Gebiet fasst die FSFE diese Zusammenhänge zusammen und fordert die
Veröffentlichung öffentlich finanzierter Technologien als Freie
Software.
Zu den inhärenten Eigenschaften Freier Software und ihrer Gemeinschaften
gehören der gleichberechtigte Zugang zu den Quellen, eine internationale
Kultur des Austausches und die gemeinsame Entwicklung von Software zum
Nutzen aller. Während viele von uns diese Freiheiten inzwischen als
universell akzeptieren, gilt dies leider nicht wenn wir in die Welt der
proprietären Software schauen. Analog gilt dies leider oft auch bei der
Verteilung der natürlichen Ressourcen rund um den Globus.
Im Jahr 2015 legte die Generalversammlung der Vereinten Nationen die
/'Ziele für nachhaltige Entwicklung'/ fest, die auf "eine bessere und
nachhaltige Zukunft für alle" abzielen. Ziel ist es bestehende
Ungleichheiten zu verringern und zugleich Zugang zu den grundlegendsten
Ressourcen unserer Gesellschaften - wie beispielsweise Nahrung,
Gesundheit und Bildung - für alle zu bieten. Die internationale
Entwicklungszusammenarbeit ist seitdem bestrebt, die vereinbarten
Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen, indem sie die
globalen Bedingungen verbessert und lokale Partner vor Ort stärkt. In
gewissem Maße ähnlich wie bei der Softwarefreiheit sollen bestehende
Abhängigkeiten reduziert und neue Abhängigkeiten um jeden Preis
vermieden werden.
Zunehmend wird die internationale Entwicklungszusammenarbeit
digitalisiert und verlagert ihren Schwerpunkt auf die digitale
Zusammenarbeit. Ob in der Landwirtschaft, der industriellen Produktion,
im Gesundheitswesen oder in der öffentlichen Verwaltung - die
Entwicklung und Aufrechterhaltung moderner sozialer Prozesse ist ohne
Software nicht länger denkbar. Funktionale Software wird dadurch
gewissermaßen zur Basistechnologie der sozialen Organisation wie auch
moderner Verwaltungsdienstleistungen. Die Einführung proprietärer
Software verschärft jedoch die Abhängigkeiten der Anwenderinnen und
Anwender in den Entwicklungsländern von der derzeit marktbeherrschenden
Softwareindustrie in den heutigen Industrieländern. Freie Software
hingegen ermöglicht die Emanzipation und Unabhängigkeit ihrer
Nutzerinnen und Nutzern - von Einzelpersonen bis hin zu staatlichen
Organisationen.
Zugleich ermöglicht Freie Software die Wiederverwendung einmal
getätigter Entwicklungsinvestitionen rund um den Globus ohne (weitere)
Lizenzkosten und ohne rechtliche oder technische Einschränkungen. Durch
die gleichzeitige Veröffentlichung des Quellcodes auf öffentlichen Code-
Repositories kann auch die eigene Software-Entwicklung von der
Wiederverwendung, Verbesserung und Neuveröffentlichung durch andere
Akteure rund um den Globus profitieren. Im Hinblick auf die
internationale Zusammenarbeit dient der frei lizenzierte Quellcode als
Grundlage für organisierte oder selbstbestimmte Wissensmultiplikation
und -transfer sowie für die internationale Kooperation. Freie Software
ermöglicht so die Entwicklung digitaler Grundlagen und bietet
internationale Standards, ohne zugleich neue Monopole und Abhängigkeiten
zu schaffen.
Die soeben genannten Gründe verdeutlichen, dass Freie Software ein
wesentlicher Bestandteil jeder nachhaltigen digitalen Entwicklung ist.
Folglich verlangen auch die von der Digital Impact Alliance entwickelten
"Prinzipien für digitale Entwicklungszusammenarbeit" die
Veröffentlichung von Software, Daten und Standards unter freien
Lizenzen. Nachdem immer mehr Akteure der internationalen
Entwicklungszusammenarbeit die Prinzipien unterzeichnen hat dies die
FSFE zum Anlass genommen und zusammen mit Experten der Deutschen
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit die Hauptvorteile des
Einsatzes Freier Software für die internationale
Entwicklungszusammenarbeit in einem Artikel zusammengefasst [1].
Der Artikel ist Teil unserer Serie über die Grundlagen Freier Software
[2]. Er liefert Hintergrundinformationen über den laufenden Prozess der
Digitalisierung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit,
dessen Auswirkungen und den Status quo. Dabei werden die vielfältigen
Vorteile beleuchtet, von denen die internationale
Entwicklungszusammenarbeit bei der Nutzung und Entwicklung Freier
Software profitieren kann. Diese bilden die Grundlage für die Forderung
der FSFE, dass in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit alle
Softwareentwicklung, die mit öffentlichen Geldern (ko-)finanziert wird,
als Freie Software veröffentlicht wird [3].
Artikel jetzt lesen [4]
Nico Lück, Ko-Autor des Artikels und Experte der Deutschen Gesellschaft
für internationale Zusammenarbeit, fasst zusammen: "Die Minimierung von
Abhängigkeiten und der Aufbau von lokalen Partnerkapazitäten fördert die
Nachhaltigkeit von IT-Lösungen: Freie Software und andere offene
Ressourcen sind die Instrumente, die für eine nachhaltige
Entwicklungszusammenarbeit bevorzugt und gefördert werden sollten." Zur
Diskussion [5]
1: https://fsfe.org/freesoftware/developmentcooperation/index.de.html
2: https://fsfe.org/freie%20Software/index.de.html
3: https://fsfe.org/freesoftware/developmentcooperation/index.de.html#pmpc-for…
4: https://fsfe.org/freesoftware/developmentcooperation/index.de.html
5: https://community.fsfe.org/t/555
== Über die Free Software Foundation Europe ==
Die Free Software Foundation Europe ist ein gemeinnütziger Verein, der
Menschen im selbstbestimmten Umgang mit Technik unterstützt. Software
beeinflusst sämtliche Bereiche unseres Lebens. Es ist wichtig, dass
diese Technik uns hilft, statt uns einzuschränken. Freie Software gibt
allen das Recht, Programme für jeden Zweck zu verwenden, zu verstehen,
zu verbreiten und zu verbessern. Diese Freiheiten stärken andere
Grundrechte wie die Redefreiheit, die Pressefreiheit und das Recht auf
Privatsphäre.
Die FSFE hilft Menschen und Organisationen dabei, zu verstehen, wie
Freie Software zu Freiheit, Transparenz und Selbstbestimmung beiträgt.
Sie stärkt Nutzerrechte, indem sie Hürden für den Einsatz Freier
Software beseitigt, ermutigt Menschen zum Einsatz und zur Entwicklung
Freier Software, und stellt Ressourcen für alle bereit, die Freie
Software in Europa voranbringen wollen.
https://fsfe.org
= Deutsche Corona-App ohne Google-Dienste verfügbar =
[ Online lesen: https://fsfe.org/news/2020/news-20201208-01.de.html ]
Eine Handvoll Freie-Software-Entwickler hat heute geschafft, was
offizielle Stellen monatelang versäumt haben: Sie haben die deutsche
Corona-Warn-App zum Nachverfolgen von Covid-19-Risikokontakten in einer
Version bereitgestellt, die komplett ohne Abhängigkeiten von Google
auskommt und im freien App-Store F-Droid erhältlich ist.
Bereits im April dieses Jahres formulierte die FSFE zwei
Grundvoraussetzungen für sogenannte Corona-Apps [1]. Erstens darf es
keine Nutzungspflicht geben, und zweitens müssen sie als Freie Software
verfügbar sein. Auf den ersten Blick erfüllt die im Juni veröffentlichte
deutsche /Corona-Warn-App/ (CWA), wie mittlerweile viele andere in
Europa, diese Anforderungen. Jedoch wird der Austausch von
Geräteschlüsseln mittels Bluetooth, auf deren Basis das Risiko berechnet
wird, von einer unterliegenden Schnittstelle gehandhabt.
Das Problem dabei: Diese Schnittstellen-Software, /Exposure
Notifications API/ genannt und maßgeblich entwickelt von Apple und
Google, ist größtenteils proprietär. Sie kann also nicht frei benutzt,
untersucht, verbreitet und verbessert werden. In Googles Android-
Betriebssystem ist außerdem die Installation und Nutzung der Play
Services notwendig. Diese Google-Dienste greifen tief in das System ein
und untergraben die digitale Souveränität der Anwenderinnen und
Anwender. Dies verhindert standardmäßig die Nutzung vieler Corona-Apps
für Menschen, die auf Datenschutz und Softwarefreiheit auf ihren
Android-Geräten [2] Wert legen.
== Ehrenamtliche lösen Problem Schritt für Schritt ==
Eine erste große Verbesserung stellte der Freie-Software-Entwickler und
FSFE-Unterstützer Marvin Wißfeld im September bereit. Er baute die
Exposure-Notification-Funktionalität in microG ein [3], eine Freie-
Software-Implementierung der proprietären Google-Dienste. Damit können
zumindest Menschen diverse Corona-Apps verwenden, die ein Google-freies
Android-Telefon [4] besitzen und microG installiert haben.
Vor wenigen Tagen gingen Christian Grigis, Fynn Godau, Marcus Hoffmann
und Marvin Wißfeld noch einen Schritt weiter. Sie integrierten die
Exposure-Notification-Komponente von microG direkt in die deutsche
Corona-Warn-App [5]. Dieses sogenannte Drop-In-Replacement ermöglicht
selbst Menschen, die weder die Google-Dienste noch deren Freie-Software-
Alternative microG installiert haben, die Nutzung der CWA. Außerdem
stellen sie seit heute die App auf F-Droid bereit [6], einem App Store
mit ausschließlich Freier Software. Das ist somit auch vorteilhaft für
jene Nutzerinnen und Nutzer, die zwar microG oder Google-Dienste
installiert haben, aber ihre Software aus Sicherheits- und
Komfortgründen lieber über F-Droid beziehen.
microG-Hauptentwickler und FSFE-Unterstützer Marvin Wißfeld ergänzt
dazu:
"Die vorherige Lösung, microG zu installieren, kommt oftmals aus
verschiedenen Gründen nicht in Frage. Die neue App aus F-Droid ist
aber zum Beispiel auch problemlos auf allen aktuellen Smartphones
von Huawei lauffähig, die seit Mitte 2019 teilweise ohne Google-
Dienste ausgeliefert werden. Die Regierung und das RKI haben so in
den letzten Monaten womöglich tausende Nutzer der Corona-Warn-App
verloren, da ausschließlich Google- und Apple-Nutzer als Zielgruppe
anvisiert wurden."
Es steht nun den verantwortlichen Stellen, der deutschen
Bundesregierung, dem Robert-Koch-Institut (RKI) sowie deren
Auftragnehmern SAP und T-Systems frei, die Änderungen in den
Hauptentwicklungszweig zu übernehmen [7], und damit zusammen mit der
Freie-Software-Gemeinschaft an einem Strang zu ziehen. Außerdem kann
diese Methode prinzipiell auch für Corona-Apps anderer Länder angewandt
werden.
== Freie Software wieder einmal in Vorreiterrolle ==
Wir sehen dabei ein bekanntes Muster: die Freie-Software-Gemeinschaft
legt ein Problem sowie eine mögliche Lösung dar [8], wird aber so lange
abgewiesen [9], bis Ehrenamtliche das Problem mit unbezahltem Einsatz
und ohne offizielle Unterstützung selbst lösen. Dabei würde es nicht an
den Ressourcen der beteiligten Verwaltungen und Firmen scheitern, diese
signifikanten Verbesserungen selbst auszuführen oder zumindest zu
unterstützen. Es ist löblich, dass die CWA konsequent von Anfang an als
Freie Software entwickelt und veröffentlicht wurde, aber es mangelte an
der notwendigen Konsequenz, um technisch mittlerweile unnötige
Abhängigkeiten von proprietärer Software zu entfernen.
Die FSFE appelliert an Regierungen und Verwaltungen, entwickelte
Software als Freie Software zu veröffentlichen, Abhängigkeiten von
Googles und Apples Appstores aufzubrechen und stattdessen ihre Apps über
unabhängige Quellen wie F-Droid installierbar zu machen, und auf
proprietäre Abhängigkeiten zu verzichten. Wie Wißfeld erläutert, ergeben
sich bereits im Fall der Corona-Warn-App ganz konkret zusätzliche
Vorteile bei der Bekämpfung der Pandemie:
"Die freie Implementierung birgt - ganz im Sinne von Freier Software
- das Potenzial für Verbesserungen, die die proprietäre
Schnittstelle von Google nicht ermöglicht. So wäre es zum Beispiel
möglich, bei einer Begegnungs-Warnung auch die Uhrzeit der Begegnung
anzuzeigen. Das kann - bei freiwilliger Datenweitergabe des Nutzers
- den Gesundheitsämter beim Ermitteln von Hotspots oder Clustern
helfen oder für statistische Zwecke genutzt werden, um die
Effektivität von Schutzmaßnahmen zu erhöhen."
Wir danken allen beteiligten Personen, die die Nutzung der Corona-App in
Deutschland ermöglicht haben, ohne dabei Einbußen bei der
Softwarefreiheit in Kauf nehmen zu müssen.
Zur Diskussion [10]
1: https://fsfe.org/news/2020/news-20200402-02.de.html
2: https://fsfe.org/activities/android/index.de.html
3: https://mastodon.social/@larma/104630652216622243
4: https://fsfe.org/activities/android/index.de.html
5: https://codeberg.org/corona-contact-tracing-germany/cwa-android
6: https://f-droid.org/packages/de.corona.tracing/
7: https://github.com/corona-warn-app/cwa-app-android/issues/1483#issuecomment…
8: https://github.com/corona-warn-app/cwa-documentation/issues/5
9: https://github.com/corona-warn-app/cwa-documentation/issues/5#issuecomment-…
10: https://community.fsfe.org/t/552
== Über die Free Software Foundation Europe ==
Die Free Software Foundation Europe ist ein gemeinnütziger Verein, der
Menschen im selbstbestimmten Umgang mit Technik unterstützt. Software
beeinflusst sämtliche Bereiche unseres Lebens. Es ist wichtig, dass
diese Technik uns hilft, statt uns einzuschränken. Freie Software gibt
allen das Recht, Programme für jeden Zweck zu verwenden, zu verstehen,
zu verbreiten und zu verbessern. Diese Freiheiten stärken andere
Grundrechte wie die Redefreiheit, die Pressefreiheit und das Recht auf
Privatsphäre.
Die FSFE hilft Menschen und Organisationen dabei, zu verstehen, wie
Freie Software zu Freiheit, Transparenz und Selbstbestimmung beiträgt.
Sie stärkt Nutzerrechte, indem sie Hürden für den Einsatz Freier
Software beseitigt, ermutigt Menschen zum Einsatz und zur Entwicklung
Freier Software, und stellt Ressourcen für alle bereit, die Freie
Software in Europa voranbringen wollen.
https://fsfe.org