Datenschutzprobleme im elektronischen Gesundheitssystem - ein neues Beispiel für Deutsches Verdrängungsphänomen?
"Wir Deutsche neigen offenbar dazu, akute Probleme solange zu verdrängen, bis sie über uns hereinbrechen. Das sehen wir etwa beim Umgang mit der Vogelgrippe auf der Insel Rügen. Bei der elektronischen Gesundheitskarte haben wir ein ähnliches Phänomen: Hier ist der Datenschutz von 80 Millionen Versicherten bedroht, sobald das System mit Daten gefüttert wird", hielt IT - Berater Thomas Maus Journalisten, Politikern und Wirtschaftsvertretern bei einem Vortrag am Donnerstag in Mannheim entgegen, die meinen, die Sorgen um den Datenschutz bei der elektronischen Gesundheitskarte seien "zu wenig konkret".
Als Beispiel führt Maus die das "e-Rezept" an: Aus den Verordnungsdaten lassen sich Diagnosen rückschließen. Diese Daten sind beispielsweise für die Kassen sichtbar und lassen sich dem Patienten zuordnen." Auf diese Weise drohe das "weltweit größte IT Projekt aller Zeiten" zur Blamage werden, so Maus. Nach der Schmach mit der LKW Maut fürchtet Maus, könne der IT Standort Deutschland "irreparablen Schaden" nehmen.
Die in Deutschland geplante Gesundheitstelematik gefährdet nach Maus' Analyse die Privatsphäre der Versicherten in Deutschland, "weil die ärztliche Schweigepflicht de facto ausgehebelt wird": Krankenkassen oder Lebensversicherer könnten die Daten benutzen, um Gesundheitsrisiken aus der Versicherung auszuschließen. Banken könnten Kreditausfallrisiken entsprechend der Lebenserwartung der Kreditnehmer berechnen und Arbeitgeber könnten die Einstellung von Mitarbeitern von der erblichen Disposition abhängig machen. Dazu müsste nur einer von "'zigtausenden von Sachbearbeitern" bestochen werden, um diesen 'Schatz' zu heben. Die Gesundheitskarte und die elektronische Rahmenarchitektur soll ab April in Bochum-Essen, Bremen, Flensburg, Heilbronn, Ingolstadt, Löbau-Zittau, Trier und Wolfsburg getestet werden.
"Die Analyse von Herrn Maus ist plausibel und überzeugend. Die Free Software Foundation Europe ist erstaunt, wie leichtfertig und unprofessionell mit derart persönlichen Daten umgegangen wird", kommentiert Joachim Jakobs, Medienkoordinator der FSFE und ergänzt : "Diese Karte weiß mehr über den Gesundheitszustand als der Betroffene selbst. Insofern muß das Vertrauen der Versicherten erst einmal gewonnen werden. Mit der aktuellen Geheimniskrämerei wird dieses Vertrauen aber bereits im Keim erstickt: So wissen wir beispielsweise, daß Herr Maus wegen der Verletzung von Softwarepatenten und des Urheberrechts verklagt werden sollte."
Stattdessen empfiehlt die FSFE, das Gesamtsystem der Gesundheitstelematik von der Architektur bis zum Quellcode offen zu legen. Die Software sollte unter einer Freien Softwarelizenz publiziert werden: "Warum sollten denn Steuerzahler und Versicherte für ein System zahlen, was sich der öffentlichen Kontrolle komplett zu entziehen versucht", so Jakobs.
Den Einwand, daß die Sicherheit gerade dann gefährdet sei, wenn der Quellcode veröffentlicht würde, läßt Informatiker Maus nicht gelten: "Wenn ich den Schließmechanismus von einem Türschloß veröffentliche, gebe ich auch nicht jedem einen Schlüssel in die Hand", und Joachim Jakobs ergänzt: "In der Praxis erweist sich zum Beispiel GNU/Linux im Vergleich zu Windows als sicherheitstechnisch wesentlich ausgereiftere Plattform."
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